Auktionstexte wirken oft trocken und kryptisch — doch hinter knapp formulierten Losbeschreibungen verbergen sich entscheidende Hinweise auf Erhaltung, Authentizität und Kosten. In diesem Beitrag zeige ich Ihnen, wie ich Losbeschreibungen lese, welche Formulierungen ich besonders ernst nehme und welche kleinen Wortspiele häufige Fallen sind. Mein Ziel ist, Ihnen Werkzeuge an die Hand zu geben, damit Sie auf Auktionskataloge souveräner reagieren können — sei es online bei CNG, numisbids oder in gedruckten Katalogen.
Grundprinzip: Lesen wie ein Detektiv
Wenn ich ein Los öffne, durchlaufe ich eine kurze Checkliste im Kopf: Wer bietet? Wer hat geprüft? Welche Terminologie wird verwendet? Gibt es Fotos und technische Angaben? Viele Auktionshäuser arbeiten mit standardisierten Kürzeln und Negationen, die auf den ersten Blick harmlos erscheinen, bei genauerem Hinsehen aber Warnsignale sind.
Häufige Formulierungen — und wie ich sie deute
- "Gut erhalten" — Das klingt positiv, ist aber extrem subjektiv. Für mich bedeutet das: keine groben Schäden, aber Patina, Abrieb oder Randfehler möglich. Ich vergleiche immer mit Foto und frage bei Unklarheiten nach Nahaufnahmen.
- "Stark abgenutzt" oder "stark berieben" — Alarmstufe Rot bei seltenen Stücken, aber bei Massenware kann es schlicht niedrigere Preise rechtfertigen. Bei Prägungen, die stark von Relief abhängen (z. B. römische Antoniniane), reduziert starker Abrieb den Sammlerwert massiv.
- "Restauriert" bzw. "Teilrestauriert" — Hier frage ich nach Details: Wurde Löten, Auffüllen von Fehlstellen, chemische Säuberung oder tonale Ausbesserung vorgenommen? Manche Restaurierungen sind reversibel und dokumentiert, andere mindern den Wert erheblich.
- "Attraktiver Sammlerzustand" — Marketingformel! Ich nehme das als Einladung, besonders kritisch die Fotos zu prüfen.
- "Fälschung?" oder "Zweifel an Echtheit" — Bei solchen Hinweisen ziehe ich Expertenmeinungen hinzu. Viele Auktionshäuser bieten Expertise an; wenn nicht, suche ich Kontakt zu Museen oder Spezialisten.
Abkürzungen und Fachbegriffe entschlüsseln
Ein Blick auf gängige Kürzel erspart Missverständnisse:
- q.S. (qualifizierter Zustand) — selten, bedeutet, dass eine formale Bewertung vorliegt.
- RR / RRR — Seltenheitsskala, variiert je nach Auktionshaus; informieren Sie sich vorher.
- ex. Sammlung / ex. Coll. — Provenienzangabe, oft positiv (Sammlung X kann den Wert erhöhen), aber immer prüfen, ob die Provenienz belegbar ist.
- chnl. oder chr. — Hinweise auf chemische Eingriffe (chemical cleaning); Vorsicht!
Fotos: Was ich suche
Bilder sagen mehr als Worte — und manchmal auch weniger. Bei meinen Bewertungen achte ich auf:
- Schärfe und Perspektive: Liegen Vorder- und Rückseite scharf und gerade vor?
- Detailaufnahmen: Rand, Avers/Reverse-Details, eventuell vorhandene Stempelmerkmale.
- Farbtreue: Ist die Patina natürlich oder wirkt sie ungleichmäßig getont?
- Vergleich mit Katalogbildern: Passen Stempel und Legierung zu bekannten Varianten?
Provenienz und Zertifikate — wie wichtig sind sie?
Nachprüfbare Provenienz kann ein Los deutlich aufwerten. Wenn eine Losbeschreibung ex. Sammlung angibt, frage ich nach Inventarnummern, Auktionskatalogen der alten Versteigerung oder Fotoarchiv. Zertifikate (z. B. B&M, Ziegelmeyer, RIC-Statements) erhöhen die Sicherheit, aber ich vergesse nie: auch Gutachten können falsch sein oder sich mit neuen Forschungsergebnissen überholen.
Restaurierung und Reinigung: Formulierungen, die ins Geld gehen
Wörter wie geputzt, gereinigt, chemisch behandelt lassen bei mir sofort die Alarmglocken läuten. Es gibt große Unterschiede:
- Mechanische Reinigung (sanftes Bürsten) kann akzeptabel sein.
- Chemische Reinigung kann Patina zerstören und somit historische Informationen und Wert entfernen.
- Löt- oder Schlossarbeiten verändern die Substanz und müssen auf der Rechnung vermerkt sein.
Wenn ein Los als "reinigungsspuren" oder "spuren v. chem. säure" beschrieben wird, rechne ich oft mit Abschlägen beim Bieten.
Die Sprache der Schätzpreise
Schätzpreise sind mehr als nur Richtwerte — sie spiegeln Markterwartungen. Ich vergleiche die Schätzung mit vorangegangenen Auktionsresultaten und Online-Verkaufspreisen (z. B. MA-Shops, eBay mit Vorsicht). Wichtige Hinweise:
- Ein sehr konservativer Schätzpreis kann ein Schnäppchen signalisieren, aber auch ein Zeichen dafür sein, dass Experten erhebliche Mängel sehen.
- Hohe Schätzungen bei fehlender Provenienz sind riskant — sie beruhen häufig auf Wunschdenken.
- Bei Losen mit großen Bietspannen (z. B. Schätzung 100–1.000 €) ist Marktunsicherheit hoch.
Eine praktische Übersicht: Formulierung, mögliche Bedeutung, Handlung
| Formulierung | Mögliche Bedeutung | Meine Handlung |
|---|---|---|
| "Gereinigt" | Patina entfernt, oft durch aggressive Mittel | Fotos kritisch prüfen, evtl. Abstand vom Kauf |
| "Restauriert" | Substanz verändert (Löten, Ergänzen) | Restaurierungsbericht anfordern, Wertabschlag kalkulieren |
| "Ex. Sammlung X" | Gute Provenienz möglich, Aufwertung | Provenienznachweise verlangen |
| "Zweifel an Echtheit" | Authentizitätsrisiko | Expertenmeinung einholen, Track-Record des Verkäufers prüfen |
Praxisbeispiele aus meinem Alltag
Neulich stieß ich auf ein Los, das als "schön patiniert, kleine Randfehler" beschrieben war. Das Foto zeigte jedoch eine sehr ungleichmäßige Patina, die an eine nachträgliche Färbung erinnerte. Ich kontaktierte das Auktionshaus und bat um Detailbilder des Rands und Metalltests. Das Los wurde schließlich aus der Auktion genommen — ein gutes Beispiel, dass Nachfragen sich lohnen.
In einem anderen Fall wurde ein byzantinischer Follis als "gut erhalten" angepriesen, die Bilder offenbarten jedoch starke Randausbrüche und Klebe-Rückstände: Eine unsachgemäße Montage hatte Substanz geschädigt. Der Zuschlagpreis sank entsprechend — als informierter Bieter kann man hier Geld sparen oder sich vor teueren Fehlkäufen schützen.
Letzte Tipps vor dem Bieten
- Lesen Sie das Kleingedruckte: Versand-, Rücknahme- und Expertise-Regeln variieren.
- Nutzen Sie Vormerk- und Anfragefunktionen bei Online-Auktionen.
- Vergleichen Sie Losnummern mit früheren Katalogen (Provenienz prüfen).
- Setzen Sie ein maximales Limit und halten Sie sich daran — Emotionales Bieten kostet oft mehr.
Beim Lesen von Losbeschreibungen hilft Erfahrung. Doch selbst als jemand, der regelmäßig Auktionskataloge studiert, verlasse ich mich nicht nur auf Worte: Fotos, Provenienzunterlagen und unabhängige Expertenmeinungen sind die Säulen, auf die ich meine Entscheidungen baue. Wenn Sie möchten, kann ich in einem weiteren Beitrag exemplarisch zwei oder drei Losbeschreibungen auseinandernehmen — mit Originaltexten und meiner Interpretation.