Als Kulturhistorikerin und Münzliebhaberin beobachte ich seit Jahren mit besonderer Aufmerksamkeit, wie sich Spuren der Herstellung auf einzelnen Prägungen niederlegen. Münzstempelschäden — Risse, Abdrücke von Fremdkörpern, Abnutzungserscheinungen oder gar Stücke fehlender Metallfläche — sind für mich nicht bloß Makel, sondern Quellen: Sie erzählen von Werkzeugen, Arbeitsabläufen, Druckverhältnissen und von Ereignissen im Herstellungsprozess, die sich sonst nirgends dokumentiert haben.
Was versteht man unter Stempelschäden?
Unter Stempelschäden fasse ich alle Veränderungen an der Prägung zusammen, die direkt auf einen defekten, verschlissenen oder beschädigten Stempel zurückzuführen sind. Dazu gehören unter anderem:
Diese Erscheinungen treten sowohl bei Antiken als auch bei modernen Prägungen auf, nur die Ursachen und die Art der Bearbeitung differieren.
Wie entstehen diese Schäden technisch?
Die Entstehungsmechanik ist oft banal, aber aufschlussreich. In der traditionellen Herstellung entsteht der Stempel durch Feingravur in Stahl oder Bronze; bei modernen Verfahren kommen zusätzlich lasergravierte Stempel oder galvanische Verfahren zum Einsatz. Die beanspruchten Bereiche — typischerweise freie Felder, Zonen hoher Reliefkonzentration oder scharfe Kanten — sind anfälliger.
Typische Ursachen sind:
Was verraten uns Brüche und Risse?
Wenn ich Risse auf einer Münze entdecke, achte ich auf Richtung, Lauf und Lage dieser Linien. Ein radialer Riss, der von der Münzkante zur Mitte läuft, deutet oft auf ein Ausbrechen eines kleinen Stempelstücks — ein sogenannter „Chip“ — während konzentrische Risse nahe des Feldrandes eher auf zu hohe Spannungen beim Prägen hindeuten. Feinere Haarrisse entlang eines Portraits zeigen meist Ermüdungserscheinungen infolge vieler Schläge.
Die Lage des Schadens hilft auch, die Belastungsspitzen des Stempels zu erkennen. Bei antiken Denaren sehe ich oft beschädigte Haarpartien an den Köpfen — ein Hinweis, dass feine Strichstrukturen an den Köpfen beim Härtungsprozess originär schon im Material schwächer waren oder dass der Graveur extrem feine Linien gesetzt hat, die schneller brechen.
Fremdkörper und deren Abdrücke — kleine Zeugen großer Fehler
Besonders faszinierend finde ich Abdrücke von Fremdkörpern: Sandkörner, metallische Späne oder Reste alter Prägeversuche können im Stempel verhaken und dann als Negativ auf viele Münzen wiederholt auftreten. Solche „Wiederholungsfehler“ sind für mich wie ein Fingerabdruck der Werkstatt. Sie erlauben es, Münzen zu gruppieren, Serienstempel zu identifizieren oder gar einen bestimmten Prägetag zu rekonstruieren.
Praktisches Beispiel: Bei einer modernen Testserie fand ich auf mehreren Ronden denselben kleinen dreieckigen Einzug. Nach Prüfung der Werkstattfotos und Rücksprache mit einem Prägetechniker stellte sich heraus, dass eine aufgerissene Dichtung zwischen Rondenleger und Pressstempel regelmäßig Materialabrieb verursachte — ein kleines, aber wiederkehrendes Problem.
Symptome und Interpretation: eine einfache Tabelle
| Symptom auf der Münze | Mögliche Ursache | Was es über den Prozess verrät |
|---|---|---|
| Feine Haarrisse im Portrait | Stempelermüdung / feine Gravur | Hohe Schlagzahl, feine Gravurtechnik, möglicherweise ungeeignet gehärteter Stahl |
| Großer „Chip“ an Feldrand | Ausbruch eines Stempelstücks | Plötzliche Materialschwäche oder Stoß; oft Folge fehlerhafter Wärmebehandlung |
| Wiederholte kleine Ansätze/Beulen | Fremdkörper im Stempel | Kontaminationsproblem in der Werkstatt; hilfreich zur Serienzuordnung |
| Ungleichmäßige Reliefschärfe | Ungleichmäßiger Verschleiß | Stempel war teilweise stärker belastet; eventuell Schrägstellung oder ungleichmäßige Presskraft |
Wie unterscheide ich Stempelschäden von Münzschäden?
Das ist eine zentrale Frage für Sammler. Ich unterscheide, indem ich die Morphologie der Markierung betrachte. Ein Stempelschaden ist integraler Bestandteil des Reliefs: er ist über Erhebungen und Vertiefungen gleichmäßig verteilt und wiederholt sich auf anderen Stücken derselben Prägung. Dagegen sind Münzschäden wie Bohrlöcher, Kratzer oder Schlagstellen oberflächlich, oft spitzes, asymmetrisches Profil und unregelmäßig verteilt.
Ein einfacher Test in der Praxis: Vergleichen Sie mehrere Exemplare derselben Ausgabe. Wiederholt sich die Erscheinung bei verschiedenen Stücken, handelt es sich sehr wahrscheinlich um einen Stempelfehler.
Praktische Hinweise für Sammler und Restauratoren
Beim Schreiben dieses Textes denke ich an unzählige Stunden in Sammlerkellern, auf Ausgrabungsdepots und neben Restauratorentischen zurück, wo ein genauer Blick auf einen kleinen Riss oft die spannendste Geschichte enthüllte. Münzstempelschäden sind mehr als Fehler — sie sind dokumentarische Spuren von Werkstattrealität, Technik und Alltag der Prägeteams. Wenn Sie mir Fotos Ihrer Fundstücke schicken, helfe ich gern beim Lesen dieser „Werkstattsprachen“.