Beim Arbeiten auf Ausgrabungen hat die Numismatik für mich oft die Rolle einer kleinen, präzisen Uhr: Münzen geben nicht nur ein Datum, sondern öffnen Fenster in soziale Netzwerke, Handelswege und alltägliche Rituale. In diesem Beitrag schildere ich, wie ich Numismatik in archäologischen Kontexten einsetze — von der Prospektion über die Bergung bis zur Auswertung — und illustriere das mit Fallstudien und praktischen Methoden.

Warum Münzen auf Ausgrabungen so wertvoll sind

Münzen sind in mehrfacher Hinsicht Ausnahmefunde: Sie sind datierbar, verbreitet, häufig gut erhaltbar und tragen ikonographische sowie epigraphische Information. Für mich als Kulturhistorikerin sind Münzen deshalb Beweisträger für ökonomische Beziehungen, Herrschaftsrepräsentation und Alltagsleben. Eine einzelne Münze kann ein konkretes Jahr, eine Münzstätte oder sogar einen Ausgaberahmen bezeugen; in Serie betrachtet zeigen Hortfunde oder Fundverteilungen ökonomische und politische Dynamiken.

Methoden vor Ort: Dokumentation, Bergung und Erstanalyse

Auf dem Feld beginnt alles mit sorgfältiger Dokumentation. Ich bestehe darauf, dass jede Münze mit einer eindeutigen Fundnummer, Kontextbeschreibung und GPS-Koordinaten erfasst wird. Meist arbeiten wir mit den üblichen Grabungsformularen, ergänzt durch digitale Fotos und eine Kurzbeschreibung.

Wichtig sind mir folgende Schritte:

  • Kontextnotizen: Lage im Schnitt, Schichtbezug, Beifunde (Keramik, Metall, organische Überreste).
  • Fotodokumentation: Makrofotos mit Skala, idealerweise auch im situennahen Umfeld.
  • Sicherung: Trockenes Einpacken in Pergamin oder Polyethylen-Beutel, getrennt nach Fundstücken, um Reibungsschäden zu vermeiden.
  • Schnellreinigung vor Ort: nur wenn es die Identifizierung erleichtert — mit lauwarmem Wasser und weicher Bürste. Säurehaltige oder aggressive Reinigungsmittel sind tabu.
  • In manchen Projekten setze ich Handheld-XRF (Hersteller wie Bruker oder Thermo Fisher) zur vorläufigen Legierungsanalyse ein. Diese Geräte ermöglichen eine schnelle, nicht-destruktive Einordnung (z. B. Silber-, Bronze- oder Gussmünze). Wichtig ist hier die kritische Einschätzung: XRF liefert Oberflächenwerte, die durch Korrosionsprodukte verfälscht sein können.

    Fallstudie: Römischer Hortfund im Siedlungsumfeld

    Ein Hortfund, den ich betreute, bestand aus etwa 150 römischen Münzen, überwiegend Denare, in einer feuchten Schicht unter einer Hausstruktur. Die Münzen waren stark korrodiert, einige miteinander verklebt. Für die Interpretation waren drei Dinge wichtig:

  • Stratigraphie: Die Münzen lagen unter einer Brandschicht — ein mögliches Indiz für kriegerische Ereignisse oder Flucht.
  • Datierung: Die neuesten Münzen stammten aus der Mitte des 3. Jahrhunderts n. Chr., womit das Versteckterminus grob eingegrenzt war.
  • Provenienzanalyse: Durch Legierungsvergleich und Münztypen konnten wir Rückschlüsse auf Handelsbeziehungen zur nächstgelegenen Münzstätte ziehen.
  • Die weitere Reinigung und Konservierung erfolgte im Labor: mechanische Reinigung unter dem Stereomikroskop, Noragel- oder EDTA-Behandlungen bei besonders empfindlichen Stücken und abschließende Konservierung mit Paraloid B-72 für langfristige Stabilität.

    Fallstudie: Mittelalterliche Münze als Grabausstattung

    Bei einer Ausgrabung eines spätmittelalterlichen Friedhofs fand ich eine einzige Münze in der Handhaltung einer Bestattung — offensichtlich als Seelenmünze oder Zahlungsmittel für die jenseitige Reise gedacht. Hier war die Ikonographie entscheidend: eine stark abgenutzte Reversdarstellung lieferte Hinweise auf das Repräsentationsprogramm eines lokalen Herrschers, während die Legierung und der Schrötling auf regionale Prägepraxis verwiesen.

    Solche Einzelfunde zeigen, dass numismatische Fragestellungen oft über rein wirtschaftliche Aspekte hinausgehen und rituelle, symbolische Dimensionen berühren.

    Technische Analysen, die ich empfehle

    Für eine vertiefte Auswertung nutze ich eine Kombination folgender Methoden:

  • Röntgenfluoreszenzanalyse (XRF) — nicht-destruktiv, gut für Metallanalysen, aber oberflächenabhängig.
  • Röntgenstrahlendiffraktometrie (XRD) — zur Identifikation korrosiver Phasen.
  • Isotopenanalyse — z. B. Bleiisotope zur Herkunftsbestimmung von Silberschroten.
  • Digitale Bildanalyse — für Mustervergleich, Typologie und Stempelidentifikation. Hier setze ich gern Open-Source-Tools ein oder kommerzielle Software wie Adobe Photoshop für Publikationsbilder.
  • Ich arbeite regelmäßig mit Restauratoren und naturwissenschaftlichen Laboren zusammen, weil die Kombination aus Archäologie, Materialwissenschaft und Ikonographie die aussagekräftigsten Ergebnisse liefert.

    Fundverteilung und GIS

    Für mich ist die räumliche Einbettung von Münzfunden zentral. Mit GIS-Tools visualisiere ich Fundhäufungen, Wegebeziehungen und mögliche Handelsachsen. Solche Karten helfen, Fragen zu beantworten wie: Sind Münzen im Bereich von Werkstätten häufiger? Gibt es Cluster entlang von Transportwegen? Werden bestimmte Münztypen bevorzugt in sakralen Kontexten gefunden?

    Analysebasis Fragestellung
    Fundverteilung (GIS) Handelswege, lokale Ökonomie, Siedlungsstruktur
    Legierungsanalyse (XRF) Herstellungsverfahren, Rohstoffherkunft
    Typologie & Ikonographie Herrschaftsrepräsentation, politische Chronologie

    Ethik, Rechtsfragen und Zusammenarbeit mit Meldesystemen

    Numismatik auf Ausgrabungen ist nicht nur Facharbeit, sondern verlangt Sensibilität für rechtliche und ethische Aspekte. Ich lege Wert auf transparente Fundmeldepflichten, besonders wenn Metallsonden im Spiel sind. Illegale Prospektion schädigt Kontextdaten unwiederbringlich — und Kontext ist gerade die numismatische Goldmine.

    Deshalb arbeite ich eng mit Museen, Denkmalbehörden und lokalen Sammlerverbänden zusammen. Oft ergeben sich daraus produktive Kooperationen: konservatorische Expertise, Zugriff auf Referenzsammlungen und gemeinsame Publikationsprojekte.

    Was Leserinnen und Sammler wissen sollten

    Für Sammler, die mit Fundmünzen umgehen, habe ich einige praktische Hinweise:

  • Niemals an chemischen Reinigern sparen — konservieren statt reinigen.
  • Fundkontext dokumentieren: Ein Foto der Fundstelle ist Gold wert.
  • Bei Zweifeln Experten kontaktieren — viele Museen und numismatische Gesellschaften bieten Identifikationshilfe.
  • Auf Helios Numismatik dokumentiere ich regelmäßig originäre Fundstücke und deren Bearbeitung, weil ich überzeugt bin: Nur durch sorgfältige Zusammenarbeit zwischen Feld und Labor entstehen belastbare kulturhistorische Aussagen. Münzen sind klein, aber ihre Geschichten sind groß — und sie brauchen einen Kontext, um erzählt zu werden.